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Warum Stahl?
Linien im Raum von Robert Schad
Annette Reich
Inwieweit ist künstlerisches Arbeiten mit Stahl heute relevant und aktuell? Welche Bedeutung hat das Material Stahl als künstlerisches Ausdrucksmittel im Gegensatz zu Holz, Stein, Bronze, Kunststoff etc. für unsere Wahrnehmung? Welche Inhalte lassen sich vermitteln?
Die Frage nach dem Material ist eine Frage des Künstlers an sich selbst, nach seinem Standpunkt, nach seiner gegenwärtigen und zukünftigen Zielsetzung. Das Aufgreifen eines tradierten Werkstoffes wie Stahl hat gerade in Zeiten der Umbrüche und vielfältigen Orientierungssuche zu Beginn des 21. Jahrhunderts, auch in der bildenden Kunst, eine nicht zu unterschätzende Bedeutung für die Entstehung weiterführender Vorstellungen und Perspektiven und damit seine Berechtigung.
Wir verbinden ganz bestimmte Eigenschaften mit dem Material Stahl. Es ist ein beständiges Material. Schwere, Stabilität, Masse, Unbeweglichkeit sind kennzeichnend. Assoziationen an Schwerindustrie, Hochhausgiganten oder Maschinenparks kommen einem spontan in den Sinn. Umso überraschender nehmen wir eine Wirkung wahr, die wir keineswegs selbstverständlich mit diesem Werkstoff in Zusammenhang bringen. Unsere Erwartungshaltung sieht sich getäuscht, wenn Gegenteiliges sicht- und spürbar wird: Leichtigkeit statt Schwere, Instabilität statt Stabilität, Raum statt Masse und Bewegung statt Unbeweglichkeit. Dann erschließen sich neue Bedeutungsebenen und öffnen den Wahrnehmungshorizont.
Der Begriff Wahrnehmung bezeichnet unterschiedliche Erfahrungsweisen der Wirklichkeit, unbewusste und bewusste. Die Aufmerksamkeit kann sich nach außen oder nach innen richten; reale oder vorgestellte Wirklichkeiten können im Mittelpunkt stehen. „Auslöser für bewusste Wahrnehmungen sind Diskrepanzerlebnisse zwischen Reizen, mit denen wir konfrontiert sind, und Erwartungen, die wir aufgrund vorhergehender Wahrnehmungen aufgebaut haben. Unsere Aufmerksamkeit wird durch Reizkonfigurationen erregt, die sich etwa durch Ambiguität oder durch Komplexität auszeichnen.“ (zit. nach: Ursula Brandstätter, Grundfragen der Ästhetik, Bild-Musik-Sprache-Körper, Köln, Weimar, Wien 2008, S. 99). Eine solche Komplexität verkörpern in besonderem Maße die Stahlplastiken von Robert Schad. Seine Formfindungen zeigen, dass Stahl als künstlerisches Medium heute Gültigkeit und Aktualität besitzt.
In diesem Kontext lohnt es sich, den Blick auf das Fragment als künstlerische Gestaltungsform zu werfen. Fragment bedeutet Bruchstück und intendiert zugleich einen größeren Zusammenhang, ein Ganzes, Totalität. Das Zusammenfügen mehrerer dieser Bruchstücke aus Stahl beinhaltet eine größtmögliche Freiheit während des Arbeitsprozesses und ermöglicht die Entdeckung eines ganz neuen Spielraums im Hinblick auf die Verkörperung einer Idee. Losgelöst von materialgebundenen Eigenschaften erlaubt das Material Stahl Autonomie und Selbständigkeit, eine nahezu grenzenlose Virtualität; das Ergebnis ist keineswegs eine Zerstückelung, sondern im Gegenteil eine Verdichtung, eine Öffnung zum Zukünftigen. „Ich schneide und addiere, versuche, das Material zu überwinden, angetrieben von der utopischen Vision des Natürlichen“, sagt Robert Schad, „das Ergebnis im Moment des Betrachtens ist angehaltene Bewegung. Ich reflektiere mit Stahl in besonderem Maße Wachstum, den Ablauf tänzerischen Ausdrucks. Meine Plastiken sind Fragmente der Unendlichkeit in der Zeit.“
Robert Schad gehört zu den bedeutendsten zeitgenössischen Stahlplastikern. Seine Werke spiegeln vielschichtige Aspekte der Themen Mensch, Natur, Architektur, (Lebens-)Raum wider und berühren essentielle Überlegungen im Zusammenhang mit unserer heutigen Gesellschaft, in der Werte zunehmend in Frage gestellt werden beziehungsweise sich zu verflüchtigen scheinen. Schad ist bestrebt, mit seinen abstrakten Formfindungen, Urkräfte freizusetzen und existenzielle Erfahrungen mitzuteilen. Dabei verwendet er keine Naturmaterialien, sondern Stahl, das den industriellen Fortschritt verkörpert, aus dem in der Regel Maschinen, architektonische Stützkonstruktionen und Waffen hergestellt werden. Aus einer dialogischen Grundhaltung heraus stellt er seine Arbeit immer wieder aufs Neue hinsichtlich ihrer Relevanz und Aktualität auf den Prüfstand und schöpft daraus jene Energie, die kreative Prozesse forciert.
Die Linie und ihre körperliche Bewegung im Raum ist das Hauptthema von Robert Schads Arbeiten. Stehend, liegend, balancierend, immer scheinen die filigran in die Höhe ragenden oder kompakt zusammengeballten Formgebilde in Bewegung zu sein. Es sind Linien aus Stahl, ruhig und grazil in den Raum geschrieben, bedrohlich verdichtet oder locker aufeineinander bezogen, die unbestimmte Räume in konkret erfahrbare Orte verwandeln. Als Rauminszenierungen gestalten sie den Außen- und den Innenraum, den Naturraum, den musealen und urbanen Raum oder den Kirchenraum neu und erlauben vielschichtige Wahrnehmungen. Spannungen entladen sich. Die stählernen Linien berühren zuweilen nur an wenigen Stellen den Boden. Ohne Anfang und Ende bewegen sie sich auf- und abwärts im Raum, beschreiben unregelmäßige Formen, die Ein- und Durchblicke sichtbar werden lassen.
Linie und Raum als künstlerische Ausdrucksmittel bestimmen auch die Wandarbeiten. In verschiedene Richtungen lassen sich ausschnitthaft aufgefasste, labyrinthartige Wegenetze virtuell fortsetzen. Trotz angedeuteter Grenzen und geschlossener Felder dominiert die Offenheit. Linien aus Stahl von unterschiedlicher Länge verlaufen beispielsweise in vertikaler und horizontaler Richtung – gegeneinander nach oben und nach unten verschoben –, wobei die Abstände variieren. Dynamik kommt ins Spiel. Parallel zu den plastischen Werken entstehen großformatige, teilweise mehrteilige Schwarzweißzeichnungen in in Lack auf Stahlblech, die sich als autonome Kunstwerke neben den raumgreifenden Formfindungen aus Stahl behaupten. Es sind Detailuntersuchungen von Bewegungsideen, nicht zu Ende gedachte Fragmente. Horizontale, schwarze, balkenartige Linien, parallel oder versetzt platziert, scheinen frei im Raum zu schweben, berühren einander, verdichten sich zu einer Fläche oder grenzen an vertikale Linien. In ihrer Kombination gehen die zwei- und dreidimensionalen Arbeiten eine ideale Wechselwirkung ein, indem sie Verbindungen und Kontraste vor Augen führen.
Im Mittelpunkt der künstlerischen Auseinandersetzung von Robert Schad steht das dialogische Zusammenspiel gegensätzlicher Kräfte. Die Suche nach der Verbindung von scheinbar Unvereinbarem treibt seine Arbeit voran. Seine Plastiken wirken zugleich offen und geschlossen, bewegt und statisch, leicht und schwer, instabil und stabil. Das hängt nicht zuletzt mit der Beschaffenheit des verwendeten Materials und der Art der Bearbeitung durch den Künstler zusammen. Alle seine Plastiken – die Wand- und Bodenstücke, die Einzelwerke und die mehrteiligen Arbeiten, die weit in den Raum ausgreifenden Großplastiken im Innen- und Außenraum sowie die auf Sockeln präsentierten Kleinplastiken – sind aus massivem Vierkanstahl von 45 mm bis 160 mm Durchmesser gearbeitet, wobei der Querschnitt der kleinsten Einheit durch das Maß seiner Hand vorgegeben ist.
Am Anfang des Arbeitsprozesses werden Empfindungen zunächst reflektiert. Der Künstler hält erste Inspirationen in kleinen Skizzen fest und setzt diese dann im Raum künstlerisch um. Die Plastik wird spontan aus bereits zugeschnittenen Stahlelementen aufgebaut und zusammengeschweißt. Das aleatorische Element spielt durchaus eine Rolle, wird aber durch das bewusste Anordnen überlagert.
Einzelne Teile können nun wieder entfernt und durch neue ersetzt werden, ähnlich dem Komponieren von Musik. Dieses experimentelle Vorgehen nennt Schad ‚Sezieren’, ‚Fragmentieren’ beziehungsweise ‚Herauskristallisieren von Situationen’. Auf diese Weise werden die gegensätzlichen Kräfte, die im Raum existieren, visualisiert. Dabei bestimmen die Härte des Stahls und der Eindruck seiner Verformbarkeit wesentlich den Charakter der Plastiken, deren Oberflächen mit Feuer geschwärzt und gewachst sind. Materielle Schwere und entmaterialisierte Leichtigkeit gehen eine ideale Verbindung ein.
Die konsequente Beschäftigung mit der Linie und in diesem Zusammenhang mit der Lösung elementarer plastischer Formprobleme, die zielbewusste Umsetzung inhaltlicher Aussagen und die entschlossene Materialwahl reihen Robert Schad unter die herausragenden Plastiker des 20. und 21. Jahrhunderts ein, die sich ähnlichen Aufgaben stellen. Die Konfrontation mit Julio González, Norbert Kricke, Carl Andre, Bernar Venet, Franz Bernhard, Anthony Caro, Eduardo Chillida und Richard Serra weist auf Verbindungen und Kontraste hin, die die persönliche Stilfindung Schads verdeutlichen.
Robert Schad spricht im Zusammenhang mit seiner Arbeitsweise von ‚Raumschrift’, die einem ständigen Wandel unterworfen ist. Die an sich massiven, starren und widerstrebenden Eisenstangen werden so miteinander verbunden, dass sie mehr oder weniger geschwungene Linien ergeben, deren Ausdruck von gleichmäßigen und ausgereiften Schriftzügen bis hin zu abstrakten Zeichen im Raum reicht.
Dabei sind Form und Charakter keinesfalls festgelegt, sondern unterliegen einer permanenten Veränderung. Dieses sukzessive Sich Verändern und Erneuern ist charakteristisch für die plastische Umsetzung, wobei die starke individuelle Ausdruckskraft erkennbar bleibt. Beständiges und Sich Wandelndes ergänzen einander.
Die Anfänge des von Schad im Laufe der Zeit weiterentwickelten bildnerischen Verfahrens lassen sich bis in die 1930er Jahre zurückverfolgen. Damals ging der spanische Bildhauer Julio González zu einer Ausdrucksweise über, bei der er die Entmaterialisierung der Masse durch eine abstrahierte Linienführung vollzog. Wichtig war dem Plastiker dabei die Verbindung von realer und imaginärer Form. González hat die Metallplastik zu einer eigenständigen bildnerischen Technik entwickelt und mit seinen abstrahierten gestischen Figuren den Begriff des ‚Zeichnens im Raum’ geprägt. Nachfolgenden Künstlern, darunter auch Schad, lieferte er damit entscheidende Anregungen.
Den Dialog zwischen Linie und Raum, der für Robert Schad entscheidend ist, stellte auch der aus Düsseldorf stammende Norbert Kricke in den Mittelpunkt seines Arbeitens. Er gehört zu den Bildhauern, die die Kunst der Nachkriegszeit in Deutschland wesentlich mitbestimmt haben. Seit 1949 entwickelte er sein Konzept der ‚Raumplastik’. Geometrische Zeichen, bestehend aus geraden Linien und spitzen Winkeln sowie gebündelte, verknotete und gebogene Linien aus Metall entfalten sich als Bewegung frei im Raum. Seine Entmaterialisierung des plastischen Volumens markierte eine neue Stufe der konstruktivistischen Plastik. Wenn auch die formalästhetische Wirkung der Arbeiten von Schad eine ganz andere ist, verbindet beide Künstler ein starker Freiheitsdrang hinsichtlich ihrer konsequenten Ausdruckssprache. Durch die offene Form verweisen ihre Werke auf die Unendlichkeit, die Unbegrenztheit des Raumes und lassen diese fühlbar werden.
„Die launische Linie“, so Schad, „die alles darf, lässt jede denkbare Bewegung zu, die man in sich spürt, da sie eine unglaubliche Freiheit der Form ermöglicht und mehr noch, sie ist die Voraussetzung absoluter Freiheit.“
Aufschlussreich ist ein Verweis auf Carl Andre, einen Hauptvertreter der Minimal Art. 1965 entstand die erste ‚Horizontale Plastik’ des amerikanischen Bildhauers, ein System von flach auf dem Boden liegenden Stahlplatten, die den Raum spürbar machen. Nicht die vertikale, dem menschlichen Körper nachempfundene Haltung wirkt bestimmend, sondern die horizontale, an der Landschaft orientierte Ausrichtung. Der Betrachter wird zum Benutzer der „Horizontalen Plastik’, die nicht als körperliches Gegenüber wahrgenommen wird, sondern sich räumlich öffnet.
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Carl Andre Ende der 1960er Jahre Bodenplastiken von mehreren Metern Länge schuf, die sich aus aneinandergereihten Nägeln oder dünnen Eisenrohren zu einer unregelmäßigen Linie formieren, die Leere umschließen. Kennzeichnend ist nicht nur die Auseinandersetzung mit Linie und Raum, sondern auch die Gelenkigkeit, die ebenso für die Werke Schads charakteristisch ist. Besonders interessant sind diejenigen Stellen, an denen sich die Einzelelemente zusammenfügen, denn „es sind die Fusionsstellen, an denen der rechte Winkel meist seine Macht verliert und Formbildungen entstehen, die mehr an organische Gelenke denn an technische Verbindungen erinnern.“ Bei Schad geht es „um eine höchst originelle Mischung von technischer Kombinatorik und modellierender Gestaltung.“ (zit. nach: Peter Anselm Riedl, Robert Schad: Ein Kreuz für Fatima, in: Robert Schad, Ein Kreuz für Fatima, Freiburg i. Br. 2008, S. 5). Andre verwendet die einzelnen Formelemente als autonome künstlerische Ausdrucksmittel, die in ihrem Gesamteindruck keinen Bezug auf Figürliches nehmen, während in Schads Plastiken eine tänzerische Bewegung und damit die Beziehung zu menschlichen Haltungen und deren Veränderbarkeit intendiert ist.
Der französische Plastiker Bernar Venet beschäftigt sich in seinen monumentalen Boden- und Wandarbeiten, ebenso wie Robert Schad, vornehmlich mit der Linie als Darstellung im Raum. Ein entscheidender Unterschied besteht aber darin, dass Plastiken von Venet als monoseme Zeichen, die nur eine Bedeutungsebene haben, frei von figurativen, formalen und inhaltlichen Assoziationen sind. Das Material Stahl steht nur für sich selbst. 1979 begann Venet Stahlplastiken zu realisieren, bei denen es ihm um eine mathematisch objektive Ästhetik und nicht um eine gestisch subjektive ging, wie sie für die Arbeiten Robert Schads kennzeichnend ist. Venet stellt aber auch Plastiken her, die er als ‚unbestimmte Linien’ bezeichnet, und setzt mit ihnen die Idee von der Monumentalisierung der Linie fort. Sie sind von mathematischen Berechnungen befreit. Spiralenförmig entfalten sie sich im Raum oder liegen als unregelmäßig gebogene Eisenstäbe in zufälliger Anordnung auf dem Boden. Dennoch gehören auch diese Werke zu den ‚geometrischen Zeichnungen’ im Raum. Während Schad seine Plastiken aus Einzelteilen additiv aufbaut und zusammensetzt, schneidet Venet seine Arbeiten aus Stahlplatten heraus und biegt sie dabei in fortlaufenden Spiralbewegungen.
Trotz ihrer weitgehenden Abstraktion vom naturnahen Vorbild ist die menschliche Figur in ihren verschiedenen Körperhaltungen im Schaffen von Robert Schad präsent, dessen persönlichen Stil man auch als ‚assoziative, kontextuelle Abstraktion’ bezeichnen könnte. Der Künstler sieht sich in der Rolle eines Choreographen, wobei die Tänzer seine Plastiken sind. In ihrer innehaltenden Bewegung verkörpern sie sowohl das Vergangene als auch das Kommende und tragen auf diese Weise Zeit in sich. Wichtig ist, dass sich der Betrachter realiter um die Arbeiten herum begibt, wodurch sich ihre Ansichten von figürlich zu abstrakt und umgekehrt verändern können. Ein permanenter Wandel bestimmt die Wahrnehmung.
Es besteht bei einigen Plastiken auch die Möglichkeit, sie zu betreten, in sie hineinzugehen und damit Bestandteil des Kunstwerkes zu werden. Ein konkreter Ort wird somit nicht nur visuell, sondern auch körperlich erfahrbar. Der Künstler, der die Arbeiten herstellt, unternimmt eine Reise in das eigene Ich, auf die sich auch der rezipierende Betrachter begeben kann. Subjektive Erfahrungen, Erinnerungen und Assoziationen eröffnen dabei Wege des Zugangs.
Der Körper spielt in der Kunstform des Tanzes, die für Schads plastisches Schaffen von zentraler Bedeutung ist, eine wichtige Rolle. Er ist nicht nur über die verbale Sprache Ausdrucksträger, sondern auch durch Mimik und Gestik. Die vermittelten Botschaften eines Körpers stehen in Beziehung zu einer einmaligen räumlichen und zeitlichen, also niemals wiederholbaren, Situation. Zeichen, die von einem Körper ausgehen, vermitteln eine Vielzahl sinnlicher Qualitäten, die wir als unmittelbares Erlebnis mit unserem eigenen Körper wahrnehmen. Gefühle und Stimmungen kommen zum Ausdruck. In diesem Sinne vermag Schad mit seinen Stahlplastiken einmalige, unwiederholbare Zeugnisse zu schaffen, indem er der Idee körperlichen Ausdrucks dauerhaft Gestalt verleiht.
Franz Bernhard, der von der menschlichen Gestalt ausgeht, hat den jungen Schad beeinflusst. Dessen Auffassung von der Figur als Fragment ist jedoch eine ganz andere. Die meist aus Stahl und Holz gearbeiteten Werke wirken blockhaft massiv, schwer und in ihrer Bewegung behäbig. Sie besitzen nichts von der spielerischen Leichtigkeit, die für die bewegten Linienkörper Schads charakteristisch ist. Gesichtslos und jeglicher Individualität entledigt, ist die Abstraktion hier so weit fortgeschritten, dass der Künstler selbst von einem ‚anthropomorphen Zeichen’ spricht. Während die Arbeiten Bernhards in ihrer Geschlossenheit Raum einnehmen und sich von diesem abgrenzen, öffnen sich die Plastiken Schads zum Raum hin, nehmen ihn auf. Figur wird hier zum Ort der vieldeutigen Rezeption menschlicher Empfindungen.
Der englischer Bildhauer Anthony Caro, der Anfang der 1950er Jahre Assistent von Henry Moore war, brach mit der figurativen Plastik und löste das Volumen in rein abstrakte Flächen und Linien auf. Es entstanden bemalte, horizontal ausgerichtete Metallbleche, T-Träger und Tischskulpturen, die keinerlei gegenständliche Interpretationen hervorrufen. Mit der Gestaltungsmethode des Zusammenschweißens von Einzelteilen als einem additiven Verfahren, dessen sich auch Robert Schad freilich in anderer Form und mit gänzlich anderer Raumwirkung bedient, steht er in der Nachfolge von Julio Gonzáles und David Smith. Was Caro und Schad verbindet ist eine Arbeitsweise, bei der die Werke erst im Laufe des Schaffensprozesses ihre endgültige Form erhalten und dadurch ein bestimmtes Maß an Eigenleben entwickeln.
Geschlossene und offene Form, Masse und Leere finden im Schaffen von Robert Schad als gleichberechtigte künstlerische Ausdrucksmittel Verwendung. Nahezu kompakte, dichte Werke zeichnen sich dennoch durch eine ihnen innewohnende, wenn auch reduzierte Bewegung aus. Für den baskischen Künstler Eduardo Chillida, der zu den Hauptvertretern der ungegenständlichen Plastik zählt, ist dagegen die erstarrte Form charakteristisch. Er schafft in seinen linearen, dünngliedrigen Eisenplastiken und den blockhaft massiven Werken aus Stahl, die seit Ende der 1960er Jahre entstanden sind, ein Spannungsverhältnis zwischen Masse und Leere, wobei dem offenen Raum sein vorherrschendes Interesse gilt. Blockhaft geschlossene Formen und offene bogenartige Gebilde machen durch ihre Anordnung Leere sichtbar. Raum dringt ein oder wird umschlossen. Die Serie der ‚Windkämme’ aus Stahl macht dies zum Beispiel deutlich.
Naturkräfte wie Wasser und Wind oder natürliche Wachstumsvorgänge der Pflanzen werden in den abstrakten Stahlplastiken von Robert Schad sichtbar. Seine vielfältige Formensprache liefert verschiedene interpretatorische Anhaltspunkte, zumal seine Werke Titel ohne konkrete Bedeutungen tragen. Die Bezeichnungen führen in eine geheimnisvolle, rätselhafte und mehrdeutige Welt, die es mit Hilfe der eigenen Phantasie zu entschlüsseln gilt. Die Serie beziehungsweise die Variation eines Motivs, der bei Chillida besondere Bedeutung zukommt, spielt bei Schad dagegen keine Rolle. Während Chillida kleine Entwürfe für spätere Außenraumplastiken realisierte, sind die Kleinplastiken von Schad, auch wenn sie monumental wirken, ausschließlich in einem Maß gearbeitet und nicht als Vorstufen von Großplastiken gedacht.
Die monumentalen Stahlarbeiten im Innen- und Außenraum von Robert Schad verkörpern unter anderem Stabilität und Instabilität. Sie neigen sich, bewegen sich aus der Mitte weg und gewinnen durch ihre Art des Balancierens eine Leichtigkeit, die der Schwere des Materials entgegensteht. Sie betonen den Kontrast zwischen stabiler Geschlossenheit und instabiler Offenheit. In sich ruhen und sich bewegen kommen gleichermaßen zum Ausdruck. Bekannt und bedeutend sind Richard Serras Großplastiken aus Stahl im Außenraum und nicht weniger eindrucksvoll die monumental wirkenden Innenraumarbeiten, die aus miteinander kombinierten Stahlplatten bestehen. Ebenso wie Schad schafft auch er mit seinen Werken Raumbezüge. Der in New York lebende Künstler, der seinen Standpunkt in Auseinandersetzung mit den in den 1960er Jahren entstandenen Strömungen wie Minimal Art, Concept Art oder Land Art fand, thematisiert unter anderem das physische Gewicht riesiger, massiver Stahlkurven beziehungsweise -platten, die aufgrund ihrer Neigung oder Anordnung höchst instabil wirken.
Serra verwendet ein einfaches, an architektonische Formen angelehntes Vokabular, während Schad sich einer zeichenhaften ‚Raumschrift’ bedient, um Gegensätze zu einer Einheit zu verbinden. Schad und Serra markieren mit ihren unvergleichlichen Werken zwei wichtige Positionen in der Auseinandersetzung mit Stabilität und Instabilität, aber auch mit Massigkeit und Fragilität, Schwere und Leichtigkeit, Symmetrie und Asymmetrie. Dabei ermöglicht die Begehbarkeit einzelner Kunstwerke dem Betrachter eine spezifische und komplexe Raum- und Zeiterfahrung, nicht nur optisch, sondern auch physisch. Das Interesse, Arbeiten für bestimmte Orte zu entwickeln, ist beiden Künstlern eigen. Ihre Intention zielt insbesondere auf die Interaktion von Kunstwerk, Umraum und Betrachter. Eines der jüngsten Beispiele von Robert Schad sei hier erwähnt, in dem formale und inhaltliche Zielsetzung kulminieren: das ‚Kreuz für Fátima’. Schad gelingt mit dieser Monumentalplastik, die durch ein austariertes Gleichgewicht zwischen irdischem Schmerz und transzendenter Entrücktheit gekennzeichnet ist, ein aussagekräftiges Zeichen für die gesamte Christenheit. Neue Bezüge werden geschaffen und dadurch neue Sichtweisen hervorgerufen. Gewohntes erscheint plötzlich in einem anderen Licht. Der Betrachter sieht sich angesichts solcher Werke aus Stahl immer wieder aufs Neue mit einer vielgestaltigen und überwältigenden Wirkung konfrontiert.